einestadtzweiväterDieses Jahr hatten wir keine Zeitzeugen, sondern zwei ihrer Nachkommen (online) zu Gast: Der Vater des einen lebte privilegiert, war Jurist, mit 35 Jahren bereits Oberbürgermeister von Lodz und Mitglied der Waffen-SS. In diesen Funktionen war er für das Ghetto in Lodz mitverantwortlich. Sein Sohn ist Jens-Jürgen Ventzki, der mit 78 Jahren vom Leben des Vaters berichtete und darüber, wie er nach und nach die Spuren seiner eigenen Familiengeschichte entdecken musste. Der Vater des anderen lebte auf der „anderen Seite des Zauns“, er war Jude und wurde im Ghetto von Lodz ausgebeutet, die meisten seiner Familienmitglieder haben den menschenverachtenden Terror der Nationalsozialisten nicht überlebt. Sein Sohn ist Daniel Targownik, der von der Lebensgeschichte seines Vaters erzählte.

Jens-Jürgen Ventzki wurde 1944 in der polnischen Stadt Lodz/Litzmannstadt geboren, seine Familie floh bald vor der heranrückenden Roten Armee in den Westen und er hatte dort schöne Kinder- und Jugendjahre. Im Jahre 1990 wird er bei einem Besuch einer Ausstellung über das Lodzer Ghetto im Jüdischen Museum Frankfurt mit einem Dokument konfrontiert, das eine handschriftliche Anmerkung seines Vaters trägt. Es vergehen weitere Jahre, bis er so tief in seine Familiengeschichte einsteigt, dass er auf diesem schmerzhaften Weg auch Überlebende des Ghettos kennenlernt und deren Nachkommen. Einer von ihnen ist Daniel Targownik. Beide Söhne sind stets auf der Suche nach Dokumenten, die ihnen von der Wahrheit ihrer Familiengeschichten berichten, sie ist für beide aus sehr unterschiedlichen Gründen schmerzhaft. Herr Targownik lebt mit dem Schmerz, dass der größte Teil seiner Großfamilie das Morden der Nationalsozialisten nicht überlebt hat, dass sein Vater Schlimmstes durchmachte. „Der Hunger über viele Jahre ist seine schrecklichste Erinnerung geblieben“, berichtete Daniel Targownik. Gleichzeitig war der Vater bemüht, seinen Sohn ohne Hass zu erziehen, weshalb er vermutlich auch wenig über seine Erlebnisse sprach. Der Schmerz von Herrn Ventzki ist Scham, etwa über seine Mutter, die den von Juden geraubten Pelzmantel, den sein Vater weit unter Preis im Ghetto erstanden hat, noch zu seiner Konfirmation in den 1960er Jahren trug.

Beide mahnten zur Wachsamkeit und dazu, im Gespräch mit denen zu bleiben, die vermeintlich aus der eigenen Perspektive nicht dazugehören. Vielen Dank für das sehr eindrucksvolle Gespräch. Wir hoffen, dass wir beide Gäste einmal persönlich an unserer Schule erleben dürfen.