Abba Naor 22 02 11„Ich will hoffen, diejenigen, die mir zuhören, werden dafür sorgen, dass so etwas nicht mehr passiert.“
- Abba Naor am 11.02.22

Sich zu erinnern war schon immer eine wichtige Aufgabe unserer Gesellschaft. Sich zu erinnern ist eine wichtige Voraussetzung, um in der Gegenwart und in der Zukunft die richtigen Entscheidungen treffen zu können. Wir müssen aus dem Vergangenen lernen, für heute und morgen. 
Es ist nicht immer angenehm, sich zu erinnern. Im Gegenteil, es gibt viele Gedanken, viele Ereignisse, die man lieber nicht wieder aufleben lassen will. Aber es gehört dazu. Was war, kann nicht mehr geändert werden. Doch wir können aus dem Geschehenen lernen.
Herr Naor ist bereit, sich an seine Vergangenheit zu erinnern. Trotz seines stolzen Alters – Herr Naor ist immerhin fast 94 Jahre alt – besucht er als Zeitzeuge des Holocaust seit vielen Jahren Schulen und erzählt seine Lebensgeschichte. Auch uns am Bertolt-Brecht-Gymnasium bot sich nun die unschätzbare Gelegenheit, einen Einblick in seine ergreifende Vergangenheit zu bekommen.


So saßen wir, die Jahrgänge neun bis zwölf, am 11.02.2022 aufgeregt in der Aula und erwarteten Herrn Naor. Bereits beim Reinkommen strahlte er einerseits eine gewisse Autorität, aber gleichzeitig auch etwas sehr Vertrauenswürdiges aus und überraschte uns außerdem mit seiner für sein Alter sehr ausgeprägten körperlichen sowie geistigen Fitness.
Nachdem nun langsam Ruhe eingekehrt war, nutze unser Schulleiter Herr Heuberger den Moment für ein paar Eingangsworte, in denen uns bereits eine sehr bewegende Schilderung angekündigt wurde.
In seinen Berichten schaffte Herr Naor es, die wirklich schrecklichen Ereignisse hin und wieder mit einem gewissen humorvollen Erzählstil zu verbinden und uns gleichzeitig durch wirkungsmächtige Pausen die eigentliche Tragweite seiner Sätze bewusst zu machen, was bei mir persönlich wirklich für Gänsehaut sorgte. In den gesamten eineinhalb Stunden bezog Herr Naor außerdem immer wieder das Publikum mit ein und hielt durchgehend Augenkontakt zu uns. So hingen wir während der ganzen Zeit förmlich an seinen Lippen und haben seiner leidvollen Geschichte all unsere Aufmerksamkeit geschenkt.
Als mittlerer von drei Söhnen ist Abba Naor in Litauen aufgewachsen. Nachdem 1940 jedoch die Sowjetunion in das Land einmarschiert war, richtete sich die Bevölkerung in Litauen zunehmend gegen die Juden und gab ihnen eine Mitschuld an dem Eindringen der sowjetischen Truppen. Auch die jüdische Familie von Herrn Naor bekam dies zu spüren. Nach nur sechs Jahren Unterricht konnte er nicht mehr zur Schule gehen und kam im Alter von dreizehn Jahren zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern in das Ghetto von Kaunas. Während dieser Zeit musste er den Tod seines älteren Bruders verkraften, der von einem Tauschgeschäft außerhalb des Ghettos nicht zurückkehrte. Im Alter von ungefähr sechszehn Jahren wurden Herr Naor und seine übrige Familie anschließend in das Konzentrationslager Stutthof deportiert, wo seine Mutter und sein Bruder ermordet wurden. Auch von seinem Vater wurde Herr Naor getrennt und in verschiedene Außenlager von Dachau umgesiedelt, wo er unter schlimmsten Bedingungen und großer Hungersnot arbeiten musste. 1945 überlebte er schließlich den Todesmarsch von Dachau und wurde von den amerikanischen Truppen befreit.
Auf seine bewegenden Ausführungen folgte zunächst eine ergriffene Stille, dann ein respektvoller Applaus. In einer anschließenden Fragerunde hatten wir nun die Möglichkeit, selbst mit Herrn Naor zu sprechen und noch mehr über ihn und die Beweggründe, warum er seine Vergangenheit mit uns teilt, zu erfahren.
Gerade in dieser Fragerunde haben mich einige Sätze von Herrn Naor tief berührt und mir gezeigt, wie wichtig solche Veranstaltungen sind. Darunter auch die Aussage:
„Ich will hoffen, diejenigen, die mir zuhören, werden dafür sorgen, dass so etwas nicht mehr passiert.“
An dieser Hoffnung wird noch einmal klar, warum es so bedeutend ist, von Herrn Naor und anderen Zeitzeugen zu lernen, ihnen zuzuhören. Schließlich sind wir diejenigen, die die Gegenwart und die Zukunft gestalten. Wir haben eine Verantwortung und wir sollten sie nutzen, um dafür zu sorgen, dass sich so etwas nicht mehr wiederholt.
Speziell wir Schüler*innen gehören dabei zu der letzten Generation, die die Möglichkeit haben, aus erster Hand über den Holocaust, über den schrecklichen, menschenverachtenden Umgang mit Juden und anderen Minderheiten im Dritten Reich, zu erfahren. Es liegt an uns, diese Geschichten weiterzugeben, sie aufrecht zu erhalten.
Es liegt an uns, an der Gesellschaft, aber auch an jedem Einzelnen, uns an die Wahrheit, die Vergangenheit, zu erinnern und daraus zu lernen. Denn wie auch Herr Naor bereits gesagt hat:
„Das Leben ist eine feine Sache. Wenn man das richtige macht.“
Versuchen wir also, es heute anders, es heute besser zu machen, im Kleinen, wie im Großen. Lassen wir es heutzutage gar nicht erst so weit kommen wie damals, setzen wir uns von Beginn an schon in unserem direkten Umfeld für die Ausgegrenzten und Unterdrückten ein. Diese Botschaft hat uns auch Frau Mischung am Ende der Veranstaltung mit auf den Weg gegeben.
Zusammenfassend war es wirklich eine große Bereicherung, sich Herrn Naors Geschichte anhören zu dürfen.

Laetitia Siebner (10a)